In der Dunkelheit wird sie die unruhigen Schatten der dunklen Plexiglasbemalung auf die so sauber restaurierten Wände projizieren. Wie ein Menetekel skizzieren diese Schattenrisse dann einen bizarr-ungegenständlichen Totentanz auf die Wände der Synagoge, der durch die akustische Unterlegung der Gesamtinstallation noch in seiner Wirkung gesteigert wird.¹ Reuschs Konzept folgend soll nämlich – die ganze Klaviatur deutscher Gefühlswelten ausschöpfend – das leise, wie von Ferne wahrgenommene Klavierspiel von Chopins „Nocturnes“ in das pathetische Motiv aus Liszts „Préludes“ münden und damit die Assoziationen an Krieg und Zerstörung konkretisieren. Wie gerade wir in Deutschland wissen, dienten Liszts „Préludes“ als Indikativ, mit dem der Radiohörer der Kriegszeit auf Sondermeldungen aufmerksam gemacht werden sollte. Wie ein Nachklang der Kriegsereignisse hallen die Töne daher im Raum, abrupt unterbrochen durch das Krachen einer Metallplatte, die auf den Boden fällt. Ihr Aufschlag markiert den unüberhörbaren Schlussakkord, in dem sich das Drama jüdischer und deutscher Geschichte formal konkretisiert. Dass es hier nichts zu beschönigen oder auch nichts falsch zu versöhnen gibt, ist damit klar. Denn die Verluste sind auch durch künstlerische Interventionen nicht zu kompensieren, wessen sich Erich Reusch sehr bewusst ist. Die Leistung seines Konzepts liegt jedoch darin, dass er diesen neutralisierten, narkotisierten Raum reanimiert, mit dem Drama seiner Geschichte konfrontiert. Durch die Kraft des künstlerischen Dialogs vergegenwärtigt er die Spur eines Gewesenen, dem doch ständig eine neue Vernichtung, die Auslöschung durch das Vergessen, droht.
Christoph Schreier
Kunstmuseum Bonn
(Erstveröffentlichung im Ausstellungskatalog, Erich Reusch, Les Préludes, 1999)
¹ Reusch hat schon des öfteren akustische Akzente für seine Installationen genutzt. Ein Beispiel hierfür ist etwa seine Raumarbeit für das Museum am Ostwall in Dortmund aus dem Jahre 1972.
