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Erich Reusch

Les Préludes

25.4. – 30.6.1999

Deutlich dokumentiert sich diese Haltung in Reuschs zentraler skulpturaler Setzung, der Plexiglaskonstruktion im hinteren Drittel des Raumes. Sie orientiert sich formal wie achsial an dem in einer Nische stehenden Thoraschrank, in dem einst die Thorarollen aufbewahrt wurden. Kunstvoll mit Säulen verziert, ist er eines der letzten Relikte des jüdischen Ritus hier in Stommeln, dem am anderen Ende des Raumes die Empore, als Aufenthaltsort der weiblichen Gläubigen, korrespondiert. Der frühe Exodus der Juden gerade hier in Stommeln und der nachfolgende Holocaust haben sie verwaist zurückgelassen, eine zeitlose Leere schaffend, auf die Reusch mit seiner Installation antwortet. Denn gleichsam stellvertretend erneuert und aktualisiert sie die Zwiesprache des Menschen mit den (jüdischen) Glaubensinhalten, indem sie sich der Sakralität des Ortes, konkretisiert in dem bereits erwähnten Thoraschrank, stellt.

Durch seine gestalterische Intervention schafft Reusch dem heiligen Schrein des Thoraschranks also ein zeitgemäßes, ein auch durch Aufsockelung ebenbürtiges Gegenüber, dessen Bedeutung – ähnlich dem Thoraschrank – die engen Grenzen einer funktionalen Nutzung überschreitet. Obwohl nämlich die Plexiglaskonstruktion einen Binnenraum umschreibt, ist dieser leicht erhöhte und durch dunkles Granulat umfasste Raum letztlich unbetretbar. Zwar mag er einen idealen Ort der Reflexion markieren, doch nimmt uns Reusch die Illusion der direkten Konfrontation, der Auseinandersetzung oder Kontaktaufnahme mit dem Glauben und der Kultur der Opfer. Betritt man nämlich die Synagoge, so verstellt die erwähnte Plexiglaskonstruktion den Blick auf den Thoraschrank, zumal sie Reusch dunkel bemalt hat. Nur im unteren Bereich transparent, verdichten sich die Fingerspuren der Bemalung im Blick nach oben zu einer rauchgeschwärzten Gesamtform. Sie erinnert an Ruß und gemahnt damit an die millionenfachen Opfer, die zwischen uns und den Überlebenden des Holocausts, zwischen uns und unserer eigenen jüdisch-deutschen Vergangenheit stehen. Ihr undurchdringlicher Schatten trennt Gestern und Heute und skizziert damit eine Demarkationslinie deutscher Geschichte. Gleich einer Totenmaske legt sich eine dunkle Plexiglasform über das einzig verbliebene Symbol jüdischen Glaubens, den Thoraschrank, beleuchtet nur von einer lichtstarken Glühbirne, die wie das profane Pendant der in Synagogen üblichen „ewigen“ Lampe wirkt.

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Diashow (3 Bilder)

Synagoge Stommeln, Erich Reusch, Les Préludes, Foto Reusch

Erich Reusch, Les Préludes