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Sol LeWitt

Lost Voices

13.3. – 29.5.2005
Schließlich bleibt oben nur ein schmaler heller Streifen zwischen Backsteinmauer und Emporenkante, der es ermöglicht, bis zur weißen Synagogendecke hochzublicken. Doch kommt es hier auch noch zu einer akustischen Erfahrung besonderer Art, denn man vernimmt von Anfang an Musik, welche den Raum erfüllt. Es klingt wie religiöser Chorgesang - getragene feierliche Töne - zwischendurch ist auch der Shofar, das in der jüdischen Liturgie gebräuchliche Widderhorn zu hören. Es wird schließlich klar, dass diese Klänge aus dem verschlossenen Bereich jenseits der Wand kommen müssen. Sie dringen durch den schmalen Streifen, der zwischen der oberen Mauerkante und der Synagogendecke bleibt, also über einen Umweg von oben nach unten, an unser Ohr. Hinter der Wand befindet sich der Thoraschrein und damit das eigentliche Zentrum des ehemaligen Gotteshauses. Dort haben sich einst die zeremoniellen Handlungen abgespielt, bevor die Synagoge durch eine seltsame Fügung zwar entweiht, das heißt zur Scheune und zum Stall degradiert, den Naziterror unbeschadet überstehen konnte – um schließlich, unter Denkmalschutz gestellt, seit 1990/91 zum Ort für internationale Kunstpräsentationen zu werden. Durch Sol LeWitts Eingriff in den Raum und die von ihm veranlasste Beschallung scheint es im ersten Moment, als solle dort hinter der geschlossenen Wand ein Teil des alten jüdischen Gemeindelebens anklingen, als könnten die Feiern des Rosh HaShanah und des Jom Kippur in einer der Kunst einbeschriebenen symbolischen Form noch einmal begangen, als solle hier noch einmal der wichtigsten Festtage im jüdischen Kalender erinnernd gedacht werden. Doch zugleich wird einem bewusst, dass diejenigen, die hier singen, gar nicht wirklich und physisch anwesend sind. Dass es sich um Klänge handelt, welche von Lautsprechern stammen, die sich hinter der gemauerten Barriere befinden und dass eine solche akustische „Reaktivierung“ immer eine im Nachhinein künstlich inszenierte und zugleich fragmentierte bleiben muss.

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Diashow (3 Bilder)

Synagoge Stommeln, Sol LeWitt, Installationsansicht, Foto Werner J. Hannappel

Sol LeWitt, Lost Voices